Ob Hochbegabung ein Segen
ist oder nicht, kommt auf das Umfeld an. Jugendliche, deren besondere
Fähigkeiten verkannt werden, sind auffällig oder extrem
in sich gekehrt. In der Wiener Sir-Karl-Popper-Schule für
Hochbegabte kennt man weder Außenseiter noch Streber.
Text: Elisabeth Patsios, Fotos:
Peter Korrak
In letzter Zeit habe ich die
Einstellung, dass Schlafen Zeitverschwendung ist", sagt
der 15-jährige Mauro. Auch seine Computerspiele hat er längst
gegen Bücher eingetauscht. Mauro geht auf keine normale
Schule mehr, denn dort hat er sich fadisiert, weil er immer ein
bisschen schneller war als die anderen. Heute geht der 15-Jährige
auf die Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte im vierten
Wiener Bezirk am Wiedner Gürtel. Erste und einzige Anlaufstelle
für Jugendliche, deren Wissensdurst und Aufnahmefähigkeit
höher ist als bei "normalen" Gleichaltrigen.
Wer hier in die Oberstufe aufgenommen
wird, muss einen beinharten Intelligenztest bestehen, der sogar
Hochbegabte zum Schwitzen bringt, weil kaum einer der Kandidaten
damit fertig wird. "Was wir damit bezwecken wollen, ist,
herauszufinden, wie ein Kind denken kann", sagt der Schuldirektor
Günter Schmid.
"Der Test hat mich echt
geschlaucht", sagt Mauro. Seine Klassenkollegen pflichten
ihm bei. Überprüft werden Logik, Gedächtnis, Wissen
und Teamfähigkeit. Man muss erst einmal verkraften, dass
man beim Test in der Zeit nicht fertig wird, so der allgemeine
Tenor. Obwohl es die Schüler nicht recht zu geben wollen,
die Anforderungen an sich selbst sind sehr hoch. So kommt es
vor, dass die Mädchen und Buben oft mehr tun wollen, als
sie eigentlich müssten, erzählt der Direktor.
Anstrengen müssen sich die
Schüler jedoch allemal. Auch wenn der Lehrplan flexibler
gehalten ist, selbst Schwerpunktte gesetzt werden können
und Schularbeiten auch bei den Lehrern nur als notwendiges Übel
angesehen werden. Mitarbeit zählt, auch auf Hausübungen
kommt es nicht so sehr an. Dafür verbringen die Kinder mehr
Zeit in der Schule und sprechen dabei sogar von ihrem "Lebensmittelpunkt".
"Meine Freunde aus der alten
Schule haben dauernd frei fürs Fußballspielen, aber
ich hatte plötzlich keine Zeit mehr. Mit dem Lernen ist
es jetzt recht viel geworden." Mauro ist nicht der Einzige,
der sich umstellen musste. Zum ersten Mal fühlen sich die
Hochbegabten wie normale Schüler, und müssen sich auch
einmal plagen. "Ich war es immer gewöhnt, mit Schlampereien
durchzukommen. Hier muss ich mich schon zusammenreißen",
mischt sich Philippa ins Gespräch. Ihre Stärke sind
Fremdsprachen. In der alten Schule ist sie mit Bomben und Granaten
durchgefallen und hatte einen Dreier in Betragen.
"Manchmal sind hoch begabte
Kinder hinter einer Schale versteckt. Der Schüler ist gar
kein widerliches Gfrast, das nicht lernen will und nur aneckt,
sondern hochintelligent", sagt Günter Schmid.
An der Popper-Schule nehmen Lehrkräfte
an speziellen Schulungen teil, und der Stundenplan kann von den
Schülern individuell gestaltet werden. Statt eines Klassenvorstandes
gibt es einen "Coach", der auf die verschiedensten
Probleme seiner Gruppe eingeht.
"Man merkt, dass diese Schüler
zwar kreativer sind, dafür aber oft hyperaktiv und besonders
sensibel", erklärt die Zeichenprofessorin Mag. Srrabotnik
den Unterschied zu Regelschülern. In ihrer alten Schule
wurden viele Kinder als Streber abgestempelt und schämten
sich sogar für gute Noten.
"Die anderen haben mich
gehänselt. Diese Schule ist ein Neustart für mich.
Wir lösen Probleme, wenn wir welche haben", erzählt
der mathematikbegabte Hagen, der von einer Sporthauptschule gekommen
ist.
Natürlich ist auch hier
nicht alles eitel Wonne. Da im selben Haus auch ganz normale
Klassen geführt werden, gab es bereits spitze Bemerkungen.
Immerhin steht den Hochbegabten eine bessere Ausstattung zur
Verfügung, das Image riecht nach Elite. Genau das hören
die Schüler nicht so gern, weil sie sich eben nicht als
Genies betrachten, sondern als ganz normale Jugendliche, die
ebenso müde sind in der ersten Stunde und das Lernen auch
einmal satt haben. Ebenso wenig sind ausgezeichnete Noten an
der Tagesordnung.
An der Sir-Karl-Popper-Schule
sind übrigens die Mädels in der Überzahl. Schluss
mit der männlichen Bildungselite! Nicht nur hier wächst
eine Generation von Frauen heran, die es mit allen männlichen
Kalibern wird aufnehmen können.
"Man will hier keine Streber
heranzüchten", betont Philippa. Sondern starke Persönlichkeiten,
die in dieser Umgebung besonders gefördert werden. "Früher
dachte ich mir immer, ich will nicht aufstehen. Heute ist das
überhaupt nicht mehr schlimm, und ich bin gut gelaunt, wenn
ich in die Schule komme", sagt sie. Es ist aber auch schon
vorgekommen, dass es neuen Schülern zu viel wurde, erzählt
der Schulleiter: "Wenn ein Kind immer der Star war und bei
uns leidet, ist das sinnlos. Wir wollen niemandem Schaden zufügen."
Das kann leicht passieren, wenn Eltern zu viel von ihren Schützlingen
erwarten. Deswegen wird beim Eignungstest genau darauf geachtet,
ob der Schüler die Aufnahme wirklich möchte.
Was sich die hoch begabten Jugendlichen
von dieser Schule wünschen, haben sie klar und deutlich
in ihrer Schülerzeitung formuliert: Kreativität ausleben
und von den Mitschülern akzeptiert werden. Da die Klassengemeinschaft
tatsächlich eine Art zweiter Boden ist, wo es vor Ideenreichtum
und Tatendrang nur so sprüht, verlässt kaum einer seine
Klasse wieder.
Auch von ihrer Zukunft haben
viele schon eine konkrete Vorstellung: Vom Informatikstudium
über Auslandsaufenthalte bis zur Karriere als Jurist findet
sich alles. Wie die Erfahrungen einer ähnlichen Schule in
Deutschland zeigen, machen die Absolventen jedoch nicht häufiger
Karriere als andere Maturantenklassen. Der eine wird zum Aussteiger,
der andere zum Karrieretyp. "Wir sind gar nicht auf der
Suche nach Extremen. Um Hochbegabte muss man sich eben mehr kümmern.
Diese Kinder haben ein Recht darauf", meint die Lehrerschaft.
"Wir sind nicht perfekt,
und das Leben ist es erst recht nicht", meint die Begabtenklasse
einstimmig. Wie wahr.
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