Kronen Zeitung, 10. Dezember 2000

Wir sind keine Streber!

Ob Hochbegabung ein Segen ist oder nicht, kommt auf das Umfeld an. Jugendliche, deren besondere Fähigkeiten verkannt werden, sind auffällig oder extrem in sich gekehrt. In der Wiener Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte kennt man weder Außenseiter noch Streber.

Text: Elisabeth Patsios, Fotos: Peter Korrak

In letzter Zeit habe ich die Einstellung, dass Schlafen Zeitverschwendung ist", sagt der 15-jährige Mauro. Auch seine Computerspiele hat er längst gegen Bücher eingetauscht. Mauro geht auf keine normale Schule mehr, denn dort hat er sich fadisiert, weil er immer ein bisschen schneller war als die anderen. Heute geht der 15-Jährige auf die Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte im vierten Wiener Bezirk am Wiedner Gürtel. Erste und einzige Anlaufstelle für Jugendliche, deren Wissensdurst und Aufnahmefähigkeit höher ist als bei "normalen" Gleichaltrigen.

Wer hier in die Oberstufe aufgenommen wird, muss einen beinharten Intelligenztest bestehen, der sogar Hochbegabte zum Schwitzen bringt, weil kaum einer der Kandidaten damit fertig wird. "Was wir damit bezwecken wollen, ist, herauszufinden, wie ein Kind denken kann", sagt der Schuldirektor Günter Schmid.

"Der Test hat mich echt geschlaucht", sagt Mauro. Seine Klassenkollegen pflichten ihm bei. Überprüft werden Logik, Gedächtnis, Wissen und Teamfähigkeit. Man muss erst einmal verkraften, dass man beim Test in der Zeit nicht fertig wird, so der allgemeine Tenor. Obwohl es die Schüler nicht recht zu geben wollen, die Anforderungen an sich selbst sind sehr hoch. So kommt es vor, dass die Mädchen und Buben oft mehr tun wollen, als sie eigentlich müssten, erzählt der Direktor.

Anstrengen müssen sich die Schüler jedoch allemal. Auch wenn der Lehrplan flexibler gehalten ist, selbst Schwerpunktte gesetzt werden können und Schularbeiten auch bei den Lehrern nur als notwendiges Übel angesehen werden. Mitarbeit zählt, auch auf Hausübungen kommt es nicht so sehr an. Dafür verbringen die Kinder mehr Zeit in der Schule und sprechen dabei sogar von ihrem "Lebensmittelpunkt".

"Meine Freunde aus der alten Schule haben dauernd frei fürs Fußballspielen, aber ich hatte plötzlich keine Zeit mehr. Mit dem Lernen ist es jetzt recht viel geworden." Mauro ist nicht der Einzige, der sich umstellen musste. Zum ersten Mal fühlen sich die Hochbegabten wie normale Schüler, und müssen sich auch einmal plagen. "Ich war es immer gewöhnt, mit Schlampereien durchzukommen. Hier muss ich mich schon zusammenreißen", mischt sich Philippa ins Gespräch. Ihre Stärke sind Fremdsprachen. In der alten Schule ist sie mit Bomben und Granaten durchgefallen und hatte einen Dreier in Betragen.

"Manchmal sind hoch begabte Kinder hinter einer Schale versteckt. Der Schüler ist gar kein widerliches Gfrast, das nicht lernen will und nur aneckt, sondern hochintelligent", sagt Günter Schmid.

An der Popper-Schule nehmen Lehrkräfte an speziellen Schulungen teil, und der Stundenplan kann von den Schülern individuell gestaltet werden. Statt eines Klassenvorstandes gibt es einen "Coach", der auf die verschiedensten Probleme seiner Gruppe eingeht.

"Man merkt, dass diese Schüler zwar kreativer sind, dafür aber oft hyperaktiv und besonders sensibel", erklärt die Zeichenprofessorin Mag. Srrabotnik den Unterschied zu Regelschülern. In ihrer alten Schule wurden viele Kinder als Streber abgestempelt und schämten sich sogar für gute Noten.

"Die anderen haben mich gehänselt. Diese Schule ist ein Neustart für mich. Wir lösen Probleme, wenn wir welche haben", erzählt der mathematikbegabte Hagen, der von einer Sporthauptschule gekommen ist.

Natürlich ist auch hier nicht alles eitel Wonne. Da im selben Haus auch ganz normale Klassen geführt werden, gab es bereits spitze Bemerkungen. Immerhin steht den Hochbegabten eine bessere Ausstattung zur Verfügung, das Image riecht nach Elite. Genau das hören die Schüler nicht so gern, weil sie sich eben nicht als Genies betrachten, sondern als ganz normale Jugendliche, die ebenso müde sind in der ersten Stunde und das Lernen auch einmal satt haben. Ebenso wenig sind ausgezeichnete Noten an der Tagesordnung.

An der Sir-Karl-Popper-Schule sind übrigens die Mädels in der Überzahl. Schluss mit der männlichen Bildungselite! Nicht nur hier wächst eine Generation von Frauen heran, die es mit allen männlichen Kalibern wird aufnehmen können.

"Man will hier keine Streber heranzüchten", betont Philippa. Sondern starke Persönlichkeiten, die in dieser Umgebung besonders gefördert werden. "Früher dachte ich mir immer, ich will nicht aufstehen. Heute ist das überhaupt nicht mehr schlimm, und ich bin gut gelaunt, wenn ich in die Schule komme", sagt sie. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass es neuen Schülern zu viel wurde, erzählt der Schulleiter: "Wenn ein Kind immer der Star war und bei uns leidet, ist das sinnlos. Wir wollen niemandem Schaden zufügen." Das kann leicht passieren, wenn Eltern zu viel von ihren Schützlingen erwarten. Deswegen wird beim Eignungstest genau darauf geachtet, ob der Schüler die Aufnahme wirklich möchte.

Was sich die hoch begabten Jugendlichen von dieser Schule wünschen, haben sie klar und deutlich in ihrer Schülerzeitung formuliert: Kreativität ausleben und von den Mitschülern akzeptiert werden. Da die Klassengemeinschaft tatsächlich eine Art zweiter Boden ist, wo es vor Ideenreichtum und Tatendrang nur so sprüht, verlässt kaum einer seine Klasse wieder.

Auch von ihrer Zukunft haben viele schon eine konkrete Vorstellung: Vom Informatikstudium über Auslandsaufenthalte bis zur Karriere als Jurist findet sich alles. Wie die Erfahrungen einer ähnlichen Schule in Deutschland zeigen, machen die Absolventen jedoch nicht häufiger Karriere als andere Maturantenklassen. Der eine wird zum Aussteiger, der andere zum Karrieretyp. "Wir sind gar nicht auf der Suche nach Extremen. Um Hochbegabte muss man sich eben mehr kümmern. Diese Kinder haben ein Recht darauf", meint die Lehrerschaft.

"Wir sind nicht perfekt, und das Leben ist es erst recht nicht", meint die Begabtenklasse einstimmig. Wie wahr.

 Aktuell vom 15.1.2001

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