Andreas
ist sechs Jahre alt. Seit Herbst geht er in die Schule. Als er
drei war, hat er gesagt: Gott hat auch eine Frau. Die Natur.
Als letztes Jahr kurz vor Weihnachten durch einen tragischen
Unfall ein fünfzehnjähriges Mädchen starb, hat
er gesagt: Der liebe Gott wird einen Engel gebraucht haben.
Als ich einmal beinahe verzweifelte,
hat er gesagt: Der liebe Gott wird schon wissen, warum.
Sein Gottesbild ist einfach,
klar, stärkend, optimistisch.
Nun geht Andreas also in die
Schule. Eigentlich hat er zwei Vornamen. Er heißt Andreas
Jeremias. Wenn sein Vater Zeit hat, liest er ihm aus der Bibel
vor, aus dem Alten und Neuen Testament, aus dem Buch, in dem
Jeremias vorkommt, und aus dem Buch, in dem Andreas vorkommt.
Er hört sich alles aufmerksam und neugierig an, stellt Fragen,
bekommt Antworten und lässt uns am nächsten Tag noch
erkennen, was ihn beschäftigt: "Nein, aber, dass...!"
In der Schule hat er Religionsunterricht.
Er kommt nach Hause, wir möchten gern wissen, was im Religionsunterricht
durchgenommen wurde, er antwortet: "Ich weiß es nicht."
So geht das einige Wochen. Schließlich sagt er, dass er
von der Religionslehrerin noch nie ein Abziehbild bekommen habe.
Wir fragen, wofür denn? Für das Ausmalen von kopierten
Zeichnungen, die die Lehrerin an die Schüler verteilt. Deren
Aufgabe im Unterricht ist es, diese Bildchen möglichst "schön"
auszumalen, und das Stunde für Stunde seit Schulanfang.
Andreas ist kein Ausmaler. Er ist selbst wenn ich das
nur mit meinen Augen als Mutter so sehe ein Künstler.
Er malt keine Flächen aus, sondern gestaltet sie mit Punkten,
Strichen, Kreisen. Und schon gar nicht lässt er sich von
irgendeinem Rand daran hindern, einen Strich zu ziehen. Das ist
aber nicht "schön" in den Augen dieser Lehrerin.
Es war am letzten Freitag Abend.
Andreas saß in der Badewanne. Er erzählte uns, dass
er in einer der vorhergehenden Religionsstunden der Lehrerin
eine Freude machen wollte. Einmal habe sie von einer Mitschülerin
ein Lesezeichen bekommen, das habe sie des langen und breiten
lobend erwähnt. Dann wieder bekomme sie Diddl-Zettel geschenkt,
und alles erfülle sie mit großer Freude. Andreas wollte
ihr also auch eine Freude machen. So hat er auf einen kleinen
Zettel vier Pfeile gezeichnet. Einen nach oben, einen nach unten,
einen nach links, einen nach rechts. Beziehungsweise einen nach
Norden, einen nach Süden, einen nach Osten, einen nach Westen.
Die vier Pfeile bildeten ein Kreuz. In jeden Pfeil schrieb Andreas
GOTT. Zweimal steht GOTT von oben nach unten geschrieben dort
und zweimal von links und rechts. Weil ja eben Gott überall
ist. Diesen Zettel hat er dann der Lehrerin geschenkt. Sie hat
gesagt, das ist aber nett, sonst aber nicht wie über
Lesezeichen und Diddl-Zettel mit der Klasse darüber
gesprochen. Als Andreas das erzählte, im Badewasser sitzend,
hob er seine schmalen Schultern. Er war verzweifelt über
die fehlende Anerkennung. Aber zumindest habe er versucht, der
Religionslehrerin mit etwas, das von Gott handelt und nicht von
Diddl, eine Freude zu machen.
Andreas meinte dann noch, vielleicht
habe die Lehrerin den Zettel schon weggeworfen. Er habe nämlich
geträumt, er habe versehentlich den Papierkorb in seinem
Klassenraum umgestoßen, und da sei sein Zettel herausgefallen.
Der Traum ist eine Geschichte, sagte Andreas nach dem Bad. Das
andere hat sich zugetragen.
Einmal habe ich seine Religionslehrerin
im Schulhof gesehen. Sie ist jung und hübsch. Ich sagte
zu Andreas: Da hast du aber eine hübsche Lehrerin. Er antwortete:
"Ja, von außen schon."
Angelika Maislinger, Innsbruck,
im Frühling 2000
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