Elternberichte

 
 

Andreas Jeremias Maislinger, 17.8.1993

Andreas ist sechs Jahre alt. Seit Herbst geht er in die Schule. Als er drei war, hat er gesagt: Gott hat auch eine Frau. Die Natur. Als letztes Jahr kurz vor Weihnachten durch einen tragischen Unfall ein fünfzehnjähriges Mädchen starb, hat er gesagt: Der liebe Gott wird einen Engel gebraucht haben.

Als ich einmal beinahe verzweifelte, hat er gesagt: Der liebe Gott wird schon wissen, warum.

Sein Gottesbild ist einfach, klar, stärkend, optimistisch.

Nun geht Andreas also in die Schule. Eigentlich hat er zwei Vornamen. Er heißt Andreas Jeremias. Wenn sein Vater Zeit hat, liest er ihm aus der Bibel vor, aus dem Alten und Neuen Testament, aus dem Buch, in dem Jeremias vorkommt, und aus dem Buch, in dem Andreas vorkommt. Er hört sich alles aufmerksam und neugierig an, stellt Fragen, bekommt Antworten und lässt uns am nächsten Tag noch erkennen, was ihn beschäftigt: "Nein, aber, dass...!"

In der Schule hat er Religionsunterricht. Er kommt nach Hause, wir möchten gern wissen, was im Religionsunterricht durchgenommen wurde, er antwortet: "Ich weiß es nicht." So geht das einige Wochen. Schließlich sagt er, dass er von der Religionslehrerin noch nie ein Abziehbild bekommen habe. Wir fragen, wofür denn? Für das Ausmalen von kopierten Zeichnungen, die die Lehrerin an die Schüler verteilt. Deren Aufgabe im Unterricht ist es, diese Bildchen möglichst "schön" auszumalen, und das Stunde für Stunde seit Schulanfang. Andreas ist kein Ausmaler. Er ist – selbst wenn ich das nur mit meinen Augen als Mutter so sehe – ein Künstler. Er malt keine Flächen aus, sondern gestaltet sie mit Punkten, Strichen, Kreisen. Und schon gar nicht lässt er sich von irgendeinem Rand daran hindern, einen Strich zu ziehen. Das ist aber nicht "schön" in den Augen dieser Lehrerin.

Es war am letzten Freitag Abend. Andreas saß in der Badewanne. Er erzählte uns, dass er in einer der vorhergehenden Religionsstunden der Lehrerin eine Freude machen wollte. Einmal habe sie von einer Mitschülerin ein Lesezeichen bekommen, das habe sie des langen und breiten lobend erwähnt. Dann wieder bekomme sie Diddl-Zettel geschenkt, und alles erfülle sie mit großer Freude. Andreas wollte ihr also auch eine Freude machen. So hat er auf einen kleinen Zettel vier Pfeile gezeichnet. Einen nach oben, einen nach unten, einen nach links, einen nach rechts. Beziehungsweise einen nach Norden, einen nach Süden, einen nach Osten, einen nach Westen. Die vier Pfeile bildeten ein Kreuz. In jeden Pfeil schrieb Andreas GOTT. Zweimal steht GOTT von oben nach unten geschrieben dort und zweimal von links und rechts. Weil ja eben Gott überall ist. Diesen Zettel hat er dann der Lehrerin geschenkt. Sie hat gesagt, das ist aber nett, sonst aber nicht – wie über Lesezeichen und Diddl-Zettel – mit der Klasse darüber gesprochen. Als Andreas das erzählte, im Badewasser sitzend, hob er seine schmalen Schultern. Er war verzweifelt über die fehlende Anerkennung. Aber zumindest habe er versucht, der Religionslehrerin mit etwas, das von Gott handelt und nicht von Diddl, eine Freude zu machen.

Andreas meinte dann noch, vielleicht habe die Lehrerin den Zettel schon weggeworfen. Er habe nämlich geträumt, er habe versehentlich den Papierkorb in seinem Klassenraum umgestoßen, und da sei sein Zettel herausgefallen. Der Traum ist eine Geschichte, sagte Andreas nach dem Bad. Das andere hat sich zugetragen.

Einmal habe ich seine Religionslehrerin im Schulhof gesehen. Sie ist jung und hübsch. Ich sagte zu Andreas: Da hast du aber eine hübsche Lehrerin. Er antwortete: "Ja, von außen schon."

Angelika Maislinger, Innsbruck, im Frühling 2000


 Aktuell vom 26.7.2000

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