Keine vollwertigen Menschen


Hermann Langbein - 1967


Hermann Langbein wurde 1912 in Wien geboren. Zur Zeit der Machtübernahme Hitlers war er Mitglied der kommunistischen Partei. Er verließ Österreich und begab sich nach Spanien, um in den Reihen der Internationalen Brigade gegen des Faschismus zu kämpfen.

Nach dem Sieg des Faschismus im spanischen Bürgerkrieg geriet Langbein in französische Gefangenschaft. Nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen lieferten ihn die Franzosen den Nazis aus. Er wurde zusammen mit anderen politischen Häftlingen, deutschen und österreichschen Kommunisten, im KZ Dachau interniert. In Dachau arbeitete Langbein als Sekretär der Abteilung für innere Krankheiten im Krankenbau. Eines Tages traf in Dachau ein SS-Arzt, Dr. Eduard Wirths, ein, der vorher an der Front diente. Er übernahm die Leitung der Kranken-Abteilung und pflegte Krankenbesuche wie in einem Krankenhaus zu machen. Er ging von Bett zu Bett und ordnete die nötige Behandlung an. Langbein, der als Sekretär der Abteilung Dr. Wirths bei seinen Krankenbesuchen begleitete, schrieb die Anordnungen des Arztes auf und gab sie weiter zur Ausführung. Der Zustand der Kranken in der Abteilung, unter denen sich auch viele Juden befanden, verbesserte sich und Langbein erwarb das Vertrauen von Dr. Wirths. Dieser verließ jedoch Dachau.

Im August 1942 wurde Langbein mit einer Gruppe von 16 nichtjüdischen Häftlingen ins KZ Auschwitz überführt. Bald nach seiner Ankunft schloss er sich der damals schon im Lager bestehenden geheimen Widerstandsbewegung an. Infolge seiner Initiative wurde diese Bewegung im Frühling 1943 auf breitere Basis gestellt und unter Beteiligung von ehemaligen Spanienkämpfern, Kommunisten, Sozialisten, Partisanen und Häftlingsgruppen aus Österreich, Polen, Frankreich, Russland, Jugoslawien, Tschechoslowakei zu einer aktiven Widerstandsorganisation im Stammlager Auschwitz und in Birkenau, die sich "Kampfgruppe Auschwitz" nannte. In dieser Organisation, in der sich auch viele jüdische Häftlinge befanden, spielten Langbein, der junge Wiener Ernst Burger (der unmittelbar vor der Befreiung von Auschwitz von der SS gehängt wurde) und die Polen Josef Cierankiewicz (nach dem Weltkrieg polnischer Ministerpräsident) und Tadeusz Holoj führende Rollen.

Der SS fiel auf, dass Langbein verdachterregende Kontakte aufrecht hielt und viel mit Juden verkehrte. Eines Tages wurde er vom Unterführer -SS Lachmann über diese Kontakte und seine Stellung zu den Juden verhört. Langbein antwortete: "Ich bemühe mich immer, den einzelnen Menschen einzuschätzen, mit dem ich zu tun habe". Lachmann wies ihn zurecht: "Die Juden sind aber keine vollwertigen Menschen. Sie müssen ausgerottet werden. Sie sind eine Gefahr für das deutsche Volk".

Lachmann beschuldigte ihn der geheime Kontakte im KZ und des Versuchs, jüdischen Häftlingen zu helfen. Deswegen wurde er im Strafbunker des Blocks 7 von Ende August bis Anfang November 1943 unter schwersten Bedingungen inhaftiert.

Eines Tages kam Dr. Wirths als neuer Standortarzt nach Auschwitz. Er suchte einen Sekretär. Langbein sprach bei ihm vor und wurde zum Sekretär und Häftlingsschreiber ernannt. Er nützte diese Stellung und das Vertrauen Dr. Wirths zum Vorteil der internationalen Widerstandsbewegung und zur Verbesserung der Lage der jüdischen Häftlinge. Er erreichte, dass im Häftlingskrankenbau im Hauptlager, wo nur polnische und deutsche Häftlinge arbeiten durften, auch jüdisches Personal aufgenommen würde, was viele jüdische Häftlinge vor den Gaskammern rettete.

Der Widerstandsbewegung gelang es dank dem persönlichen Einfluss Langbeins auf den Lagerstandortarzt Dr. Wirths, Sand in die Todesmaschinerie der SS zu streuen. So wurde der grausame "Senior" der deutschen Häftlinge durch den humaneren politischen Häftling Ludwig Wörl ersetzt, der die Positionen der kriminellen Kapos unterlief. Prügel im Lagergebiet wurden verboten, der Stehbunker im Block 11 aufgelöst und viele Gestapospione nach Flossenburg versetzt. Langbein brachte es mit Hilfe jüdischer Ärzte, Pfleger und Pflegerinnen (deren Anteil im Laufe von zwei Jahren auf bis zu 90%, teilweise sogar auf 95% stieg) dazu, dass Phenolspritzen im Krankenbau eingestellt und jüdische Häftlinge als gesund für den Arbeitseinsatz entlassen wurden. Sie arbeiteten für die deutsche Rüstungsindustrie in Arbeitsstätten der IG Farben, Krupp und Unionwerke in der Umgebung von Auschwitz. Der Bewegung gelang es, die Einstellung von Selektionen schwacher Häftlinge und der Erschießungen an der Schwarzen Wand zu erreichen.

Der Krankenbau des Blocks Nr. 20 im Hauptlager Auschwitz wurde zum Zentrum der illegalen Tätigkeit der Widerstandsbewegung, da die Deutschen sich wegen Ansteckungsgefahr fürchteten, ihn zu betreten. Die Kampfgruppe Auschwitz hielt ständigen Kontakt mit polnischen Partisanen außerhalb des Lagers. Sie nahm jüdische Häftlinge und Flüchtlinge auf und brachte sie in Sicherheit. Es gelang ihr durch Reklamationen und vorgetäuschte Krankheiten jüdische Häftlinge von Transporten fernzuhalten. Bevor die große Vernichtungsaktion gegen die ungarischen Juden im Frühling 1944 begann, sandte die Kampfgruppe eine Warnung nach Ungarn.

Die Kampfgruppe Auschwitz sandte auf verschiedenen Wegen Pläne der Bahnlinien, Krematorien und Gaskammern mit der Forderung aus dem Lager, durch ein Bombardement ein weiteres reibungsloses Funktionieren des Vernichtungsapparates zu verhindern. Während diese Nachricht ausgesandt wurde, war die größte Vernichtungsaktion, die der ungarischen Juden, von Mitte Mai bis Anfang Juli 1944 bereits im Gange. Die Mitteilung erreichte die Alliierten, es wurde jedoch kein Rettungsversuch unternommen.

Die Kampfgruppe rettete unter anderem drei österreichische Jüdinnen, die von der Gestapo verhaftet worden waren, weil sie als Fremdarbeiterinnen getarnt in ihre Heimat zurückgekehrt waren und dort im kommunistischen Untergrund arbeiteten. Die drei Frauen wurden am 1. Dezember 1944 nach Auschwitz deportiert, wo sie ein sicherer Tod erwartete. Der österreichischen Widerstandsgruppe unter Führung von Langbein gelang es, eine Nachricht über ihre besondere Gefährdung ins KZ Ravensbrück zu leiten, wohin die drei Frauen von Auschwitz überstellt wurden. Sie wurden von der österreichischen Widerstandsgruppe aus dem Transport herausgeholt und blieben so am Leben.

Langbein wurde nach der Evakuierung von Auschwitz ins Lager Neuganune und später ins Lager Lerbeck bei Minden überführt.

Auf der Fahrt nach Fallersleben östlich von Hannover sprang er am 5. Mai aus dem Zug und flüchtete auf einem Fahrrad in Richtung Österreich, wo er am 14. Mai in seiner Heimatstadt Wien eintraf. Nach dem Krieg setzte sich Langbein für die Bestrafung der Verbrecher von Auschwitz ein. Er war einer der Initiatoren des großen Auschwitz-Prozesses in Frankfurt und amtierte als Sekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees.


Die Gerechten Österreichs
Eine Dokumentation der Menschlichkeit
von Mosche Meisels


Umschlaggestaltung von Arje Weiss (einer der Geretteten)
Herausgegeben von der Österreichischen Botschaft in Tel Aviv
1996, S. 50-53.