Thematische Einleitung

Der Holocaust der Juden, der vom Nazi-Regime während des Zweiten Weltkrieges an den Juden begangen worden ist, bedeutete ein Todesurteil für jeden Menschen jüdischer Herkunft. 6 Millionen Juden, davon 1,5 Millionen Kinder sind in den von den Nazis besetzten Gebieten in Europa ermordet worden. Der Holocaust wird als Erscheinung des absolut Bösen wahrgenommen - der Höhepunkt des Antisemitismus, des Rassismus und der politischen Verfolgung. Die Erinnerung an den Holocaust und das Studium darüber sind ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur und des westlichen Bildungssystems geworden.

Der Holocaust hat praktisch jeden Einwohner in den von den Nazis besetzten Gebieten betroffen. Jedoch gerade der so genannte "Durchschnittsbürger" weiß allzu oft nicht über die mutigen Taten Bescheid, die Tausende Nichtjuden unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens begangen haben, um ihre jüdischen Landsleute zu retten. Diese mutigen Personen, eine kleine, aber moralisch starke Minderheit, haben einen Lichtstrahl in den dunklen Jahren gebildet, in denen Europa in den Abgrund gestürzt war.

Die Lebensgeschichten dieser Bürger, bekannt als "Gerechte unter den Völkern", gehören zu den höchsten moralisch eingebenden Werten. Sie zeigen, daß sich der menschliche Geist über die Grundängste und Betrachtungen erheben kann, um die moralischen Grundsätze, die von den großen Weltreligionen gelehrt werden, zu erkennen. Mehr noch, diese wahren Geschichten zeigen, daß sogar in Zeiten von Krieg und der repressivsten Tyrannei Männer und Frauen ihre angeborene Fähigkeit, moralischen Grundsätzen zu folgen, bewahren können.

In Abwandlung des Sprichwortes "Wo viel Licht, ist stark Schatten" müsste man über den Holocaust sagen, daß es im tiefen Schatten nur wenig Licht gab. Diese vereinzelten Lichtstrahlen sind die Retter der Juden, die über der Gefährdung des eigenen Lebens dem Ruf des Gewissens folgten; oft mussten mehrere zusammenwirken, um den Verfolgten zu verstecken und vor dem Argwohn der Nachbarn zu schützen. Oft fühlten sich die Retter wie ihre Schützlinge einsam und allein gegenüber einer feindlichen Welt. Mit ihrem Opfermut, manche mit ihrem Tod, gaben sie Österreich das Leben.

1955 hat das israelische Parlament - die Knesset - ein eigenes Gesetz zur Gründung von Yad Vashem, der nationalen israelischen "Gedenkstätte für den Holocaust und das Heldentum" beschlossen, um der Opfer des Holocaust und der zerstörten jüdischen Gemeinden zu gedenken. Das Gesetz beinhaltet eine besondere Passage, welche die Notwendigkeit hervorhebt, der Nichtjuden, die ihr Leben riskierten um Juden zu retten, zu gedenken.

Entsprechend ist unter dem Vorsitz eines Richters ein ordentliches Komitee in Yad Vashem gegründet worden. Nahezu 14.000 "Gerechte unter den Völkern" aus über 30 Ländern, darunter befinden sich 79 Österreicher - definiert nach dem Gesetz und in Übereinstimmung mit den klaren Kriterien des Rechtssystems - sind vom Komitee anerkannt worden. Ihre Namen wurden im "Garten der Gerechten unter den Völkern" in Yad Vashem verewigt. Jeder von ihnen ist mit einer Medaille und einer Urkunde ausgezeichnet worden. Im Gegensatz zu den Tausenden Österreicher, die mit der Naziherrschaft kollaborierten, sollten die 79 Gerechten der Völker als Vorbild für die Erziehung der kommenden Generation dienen.

Avner Shalev
Vorsitzender des Direktoriums von Yad Vashem

Die Gerechten Österreichs
Eine Dokumentation der Menschlichkeit
von Mosche Meisels

Umschlaggestaltung von Arje Weiss (einer der Geretteten)
Herausgegeben von der Österreichischen Botschaft in Tel Aviv
1996, S. 1-2.