Antisemitische Pfeilkreuzler


Dr. Leo Tschöll - 1968


Der Wiener Dr. Leo Tschöll war seit seiner Jugend antifaschistisch eingestellt.

1938, nach dem Anschluss, entschied er, Österreich zu verlassen. Er wanderte nach Jugoslawien aus, wo er in Belgrad ein eigenes Unternehmen aufbaute. Aber auch hier konnte er auf die Dauer nicht bleiben. Als die Deutschen 1941 Jugoslawien besetzten, begab er sich nach Budapest und gründete dort eine Firma. Er hatte einen Besitz in Gödöllö. Als sich 1944 die Lage der ungarischen Juden verschlechterte, die antisemitischen Pfeilkreuzler unter der Regierung Szalasis an die Macht kamen und die Juden einer ständigen Todesgefahr ausgesetzt waren, wandten sich viele an Dr. Tschöll um Hilfe.

Er gewährte mehreren Juden auf seinem Besitz in Gödöllö Unterschlupf und versteckte sie vor den ungarischen Nazis, den Pfeilkreuzlern. Nach der Besetzung Ungarns durch die Deutschen, stellte er dem Sohn eines jüdischen Vertreters seiner Firma eine Drukkerei zur Verfügung, in der hunderte Dokumente für Juden gefälscht wurden, die so ihr Leben retten konnten.

Einer der von Dr. Leo Tschöll geretteten Juden, Hermann, erzählt, dass er bis 1944 in einem Arbeitslager in Ungarn war. Hermann lebt heute in Israel. Es gelang ihm mit einigen Freunden aus der zionistischen Jugendbewegung aus dem Lager nach Budapest zu fliehen. Er hatte keine Verwandten und Bekannten in Budapest. Einem natürlichen Instinkt folgend, wandte er sich an Dr. Tschöll, den er als 14jähriger Junge in Kaschau kennengelernt hatte.

Dr. Tschöll bot ihm sofort an, bei ihm zu wohnen, obwohl er wußte, daß der Bittsteller keinen gültigen Ausweis besaß und daß dieser Unterschlupf ihm selbst verhängnisvoll werden könnte. Als seine Freunde aus der Jugendbewegung und er eine antifaschistische Untergrundzelle gründeten, nahm Dr. Tschöll aktiven Anteil an ihrer Tätigkeit. Ausweise und Schutzpässe wurden für die Mitglieder der Zelle in seiner Wohnung angefertigt. Er versorgte sie auch mit Lebensmitteln. Es gab keinen jüdischen Flüchtling, dem er nicht Unterkunft in seiner kleinen aus eineinhalb Zimmern bestehenden Wohnung anbot. Hermann wurde verhaftet und entkam nur durch ein Wunder. Seine Kollegen und Dr. Tschöll wurden ebenfalls festgenommen und verhört.

Sogar als Dr. Tschöll Lebensgefahr drohte, setzte er seine Judenrettung uneingeschränkt fort. Er erwarb sich die Funkton eines Spezialkuriers des Schweizer Roten Kreuzes und des Vatikans und rettete in seiner Mission vielen Juden das Leben. Im Laufe dieser Tätigkeit gelang es ihm, mehrere Juden mit gefälschten Papieren aus Lagern zu befreien, sie bei Freunden und Bekannten unterzubringen und sie vor der Deportation nach Auschwitz zu retten.

Die Gerechten Österreichs
Eine Dokumentation der Menschlichkeit
von Mosche Meisels

Umschlaggestaltung von Arje Weiss (einer der Geretteten)
Herausgegeben von der Österreichischen Botschaft in Tel Aviv
1996, S. 96.