"Populismus in Österreich"

Herausgegeben von Anton Pelinka

Mit Beiträgen von: Rupert Breitling, Weller Ernst, Ferdinand Karlhofer, Fritz Keller, Eva Lichtenherger, Andreas Maislinger, Michael Morass, Bernhard Natter, Anton Pelinka, Fritz Plasser, Helmut Reischenböck, Sieglinde Rosenherger, Wilfried Schatz.

Junius Verlag, Wien 1987



Inhalt

Vorbemerkung des Herausgebers
Zur Theorie und zum Begriff des Populismus

Werner W. Ernst
Zu einer Theorie des Populismus

Rupert Breitling
Populismus

Michael Morass/Helmut Reischenböck
Parteien und Populismus in Österreich

Anton Pelinka
Populismus und Wirtschaftsverbände

Sieglinde Rosenberger
Autonome Frauenbewegung

Fritz Plasser
Die populistische Arena: Massenmedien als Verstärker

Fritz Keller
Stalinistischer Populismus -Die Nationale Liga

Ferdinand Karlhofer/Eva Lichtenberger
Franz Olah - Eine anachronistische Karriere

Andreas Maislinger
Anti-Bundesheer-Volksbegehren: Volksbegehren oder Spielwiese verstreuter 68er?

Bemhard Natter
Die "Bürger" versus die "Mächtigen" - Populistischer Protest
an den Beispielen Zwentendorf und Hainburg

Wilfried Schatz
Plebiszitäre Tendenzen in der österreichischen Demokratie





Andreas Maislinger

Anti-Bundesheer-Volksbegehren: Volks-Begehren oder Spielwiese verstreuter 68er?

Das Anti-Bundesheer-Volksbegehren der Jahre 1969 bis 1972 ist bis jetzt wissenschaftlich nicht aufgearbeitet worden. In diesem Aufsatz kann dieses Defizit nur in Ansätzen ausgeglichen werden. Die zugänglichen Infor-mationen reichen nicht aus, um eine endgültige Darstellung oder gar Analyse des Volks(auf)begehrens gegen das österreichische Bundesheer vorzulegen.1) Im Zusammenhang damit wird hier auch darauf verzichtet, das Bundesheer-Volksbegehren als populistische Bewegung zu (dis)qua- lifizieren. Ob es (wie der damalige Kom-mandant der Landesverteidigungsakademie und Vater des Raumverteidigungskonzeptes General Emil Span-nocchi meint) "politischer Populismus" 2) war, oder ob es ohne jegliche populistische Absicht um eine öffent- liche Diskussion über das Bundesheer ging (Wilfried Daim) -dieser Beitrag kann und will darauf noch keine Antwort geben.

Was die Auswertung der schriftlichen Quellen und der Erinnerungen der damaligen Akteure beider Seiten je-doch bringen kann, ist eine erste umfangreichere Veröffentlichung. Sollte es tatsächlich gelingen, die etwa 30.000 Unterschriften in den Räumen des Neuen Forum zu finden, müßte es auch möglich sein eine genaue Untersuchung der sozialen Herkunft der Unterstützer dieses Volksbegehrens anzustellen. In einem Interview mit Ernst Chorherr hat Günther Nenning zum Verbleib der beglaubigten Unterschriften nur sagen können "Ja, vielleicht sind sie noch in einem Kasten"} Das eigentliche Ergebnis der zweijährigen Bemühungen, gegen das Bundesheer Sturm zu laufen, bleibt also verborgen. Ernst Chorherr fragte daher nach: "Aber das kommt mir schon komisch vor. Da sammelt man 28.000 Unterschriften, noch dazu offiziell bestätigt, und die verschwinden einfach". Günther Nenning antwortete darauf (und ich sehe darin einen ersten Hinweis auf die Frage des Unter-titels nach der "Spielwiese verstreuter 68er"): "Naja, aber ich mein', wie soll man sagen, der bürokratische oder der historisch archivarische Vorgang ist wenigstens mir persönlich fast restlos uninteressant. Es ist Aufgabe des Historikers, wie Sie es sind, zu suchen. Ich stell' Ihnen also sämtliche Kästen und Schlüsseln zur Verfügung. Für mich ist das uninteressant. Wenn in der politischen Wirklichkeit sich nichts mehr bewegt, vergeß ich einfach darauf. Ich freu' mich immer wieder über die Langzeitwirkung, darüber haben wir schon geredet, aber was mit den Zetteln ist, wenn klar ist, daß die politische Aktion beendet ist, weiß ich nicht. Genau dasselbe wird mit dem Hainburg-Volksbegehren passieren, wenn S' mich da jetzt fragen, kann ich's Ihnen auch nicht sagen. Also, ich weiß es nicht, und ich werde das, wie so viele andere Vorwürfe, die mir im Verlaufe meiner Biographie gemacht wurden, mit Seelenruhe zu tragen haben."

Genau das ist der immer wieder geäußerte Vorwurf und genau das ist die zentrale ungeklärte Frage: Warum und unter welchen Umständen ist das Volksbegehren eingeschlafen? Keiner der damals Beteiligten konnte eine ge-naue Antwort geben, es blieb bei Andeutungen wie: Der Kampf gegen den Vietnam-Krieg wurde wichtiger, Ausdruck dafür war die große Demonstration gegen Richard Nixon in Salzburg 1972. Oder: Durch die Bundes-heer-Reformkommission, besonders aber durch die Einlösung des Wahlversprechens „Sechs Monate sind genug" ging der Schwung verloren. Einige Aktivisten traten linken Studentenvereinigungen bei oder machten Karriere in privaten und verstaatlichten Betrieben. Nicht wenige nahmen auch als Maoisten oder Trotzkisten Abstand vom Pazifismus (und damit zumindest teilweise auch vom Antimilitarismus) oder integrierten sich ohne weiteren Protest in den Staat. Vereinzelt tauchten Aktivisten des Volksbegehrens in der „neuen Friedensbewegung" An-fang der achtziger Jahre wieder auf. Es wäre lohnend, anhand einer Liste der Aktivisten 4) die weiteren politisch-en Karrieren zu untersuchen. Bedingt durch die Langwierigkeit des Auffindens der heutigen Adressen muß auch die Durchführung dieses Plans verschoben werden.

Bundesheergeschichtsschreibung

Folgt man den Darstellungen einiger der bekanntesten Offiziere und Geschichtsschreiber des Bundesheeres, dann hat es das Volksbegehren überhaupt nicht gegeben. In dem 1977 von Generalmajor a.D. Mario Duic "in Gedanken an die Truppe im Frieden und im Krieg" (Widmung) geschriebenen Buch Unbewältigte Landesver-teidigung 5) heißt es zwar, die Heeresreform, „die seit 1971 läuft", sei die „am tiefsten einschneidende seit über hundert Jahren", das gleichzeitig beziehungsweise kurz vorher anlaufende Volksbegehren erwähnt das Buch aber mit keinem Wort. Ähnlich der bereits erwähnte General Emil Spannocchi: Obwohl er in Verteidigung ohne Selbstzerstörung 6) ausführlich auf die Hintergründe der Bundesheerreform eingeht, erwähnt er die damaligen schärfsten Kritiker nicht. Obwohl er immer wieder auf - teilweise berechtigte Kritik hinweist, kommt bei ihm die Gruppe der organisierten Kritiker nicht vor. Es muß der Eindruck entstehen, die Vertreter des Bundesheeres wol-len nicht zugeben, daß sie damals von außen auf die grundlegende Reformbedürftigkeit des Heeres aufmerksam gemacht werden mußten.7)

Dabei liegt die Sache doch auf der Hand: Der Wiener Professor für Völkerrecht Karl Zemanek 8), einer der be-deutendsten österreichischen Völkerrechtslehrer, wurde mit der Erstellung eines "Gutachtens zu den von dem Volksbegehren zur Abschaffung des Bundesheeres (Bundesheervolksbegehren) aufgeworfenen neutralitäts-rechtlichen und neutralitätspolitischen Fragen" beauftragt. Da dieses Gutachen in der "halboffiziellen" Österrei- chischen Zeitschrift fiir Außenpolitik veröffentlicht und in der Folge vielfach zitiert wurde, scheint der Schluß nahe zu liegen, daß das Volksbegehren von Anfang an ernst genommen wurde. Das Gutachten trägt das Datum 13. Februar 1970, es muß daher unmittelbar nach Bekanntwerden des "Antrags auf Einleitung eines Volksbe-gehrens zur Erlassung eines Bundesgesetzes, betreffend die Auflösung des Bundesheeres" in Auftrag gegeben worden sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch unpassend, wenn der Wiener Zeitgeschichtler Ludwig Jedlicka in dem vom Militärdiakon Werner Kunzenmann herausgegebenen Soldatentaschenbuch 9) schreibt: "Trotzdem wird das Jahr 1968 als ein Wendepunkt in der österreichischen Wehrpolitik zu betrachten sein. Die Bevölkerung hatte bisher eine relativ hohe Wehrbereitschaft gezeigt und die Verteidigungsmöglichkeiten Öster- reichs bejaht. Die innenpolitischen Wandlungen, nicht zuletzt bedingt durch die durch ganz Europa gehende Universitätskrise, eine heftige Aktivität der äußersten Linken in Verbindung mit wirrköpfigen Pazifisten brach-ten auch in Österreich das Bundesheer in die Schußlinie ideologischer und parteipolitischer Auseinandersetz-ungen; die vom Obmann der österreichischen Journalistengewerkschaft DDr. Günther Nenning gestartete Aktion zur Erstellung eines Volksbegehrens zur Abschaffung des Bundesheeres versandete zwar, rief sogar eine Gegen-aktion hervor, die mit Unterschriftensammlungen für das Bundesheer auftrat." Obwohl diese Äußerungen an der Grenze der Diffamierung liegen, gibt Ludwig Jedlicka indirekt zu, daß es einen direkten Zusammenhang zwisch-en Einleitung des Volksbegehrens und Konstituierung der Bundesheer-Reformkommission am 15. Mai 1970 gibt.

Der Jurist und ÖVP-Politiker Felix Ermacora1o geht noch einen Schritt weiter. Obwohl natürlich auch für ihn die Unantastbarkeit des Bundesheeres außer Streit steht, setzt er doch ganz andere - wie mir scheint ehrlichere -Akzente: "In diese Vertrauenskrise der Effektivität österreichischer Landesverteidigung fiel der Vorschlag, im Wege eines Volksbegehrens sich für die Abschaffung des Bundesheeres zu entscheiden (Nenning- Volksbe-gehren). Dieser Volksbegehrensvorschlag wurde von sozialistischen Parteigängern unterstützt. Die Tendenz des Volksbegehrens kulminierte in einer theoretischen Frage mit für die Neutralitätspolitik grundlegenden praktisch-en Konsequenzen." Damit deutet Felix Ermacora an, daß sich das Bundesheer ernsthaft mit dem Volksbegehren auseinanderzusetzen hatte. Den OVP-Politiker kann Ermacora jedoch nicht verleugnen: Er verschweigt, daß neben Nenning und Aktivisten des VSM (Verband Sozialistischer Mittelschüler) auch der CVer Wilfried Daim, einige Vertreter der katholischen Jugend und sogar Bergbauern beteiligt waren. Die "Vertrauenskrise der Effek-tivität österreichischer Landesverteidigung" (Ermacora) ging sogar weit in ÖVP-Kreise hinein. So soll sich - laut Aussage Wilfried Daims 12) - der damalige ÖVP-Landeshauptmann von Niederösterreich Andreas Maurer ge-gen das Bundesheer geäußert haben: " Wenn es nach ihm ginge, (gehöre) dieser ganze Zinnober abgeschafft". Obwohl bekannt ist, daß gerade in bäuerlichen Kreisen die Begeisterung für das Bundesheer nicht besonders groß ist und gerade von dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich viele Anträge auf Frei- und Zurückstellung vom Wehrdienst gekommen sind, bestreitet Maurer heute die zitierte Aussage. Aber Daim gibt die Situation sicherlich richtig wieder, wenn er davon spricht, daß "die Stimmung in der ÖVP sehr durcheinander war".

Auftakt

Wilfried Daim sieht die Gründe für seine Idee heute so: "Zunächst was die Vorgeschichte betrifft: Es war zu dieser Zeit so, daß der Wahlkampf der Parteien geplant war als ein Allerweltswahlkampf, also mit Leerformeln wie Freiheit, Wohlstand, Aufstieg, Fortschritt etc" ohne zu sagen, was eigentlich darunter zu verstehen ist. Mir ging das damals ziemlich auf die Nerven. Ich habe mich gefragt, was ist die eigentliche Schwachstelle der öster-reichischen Gesellschaft, und das ist bis heute das Bundesheer, Mir ging es darum, die Gesellschaft zu dynami-sieren: Und zwar sowohl auf der schwarzen wie auf der roten Seite. Und ich stellte mir die Frage, wie ist es mög-lich, wenn man weder Geld noch eine starke Gruppe hinter sich hat, diesen Prozeß in Gang zu setzen?" 13) In der Folge verglich Daim sein Volksbegehren mit der chinesischen Akupunktur: Mit kleinstem Energieaufwand, aber durch ganz präzises Stechen kann man einen Punkt treffen, durch den vieles verändert wird. Mit der Veröf-fentlichung seines Artikels "Für ein Volksbegehren zur Abschaffung des BH" (Neues Forom, Dezember 1969) und sein "Ich bin dafür" bekam Günther Nenning die volle Unterstützung Daims für zwei Jahre. Der "persön-liche Vorschlag zur Diskussion" war, gemessen an den Folgen, kurz:

"Ich bin für ein Volksbegehren in Österreich. Es geht dabei um die Abschaffung des österreichischen Bundes- heeres. Hiefür stehen keineswegs Steuergelder zur Propaganda zur Verfügung, wie den Befürwortern des Bun-desheeres, die in der Lage sind, Millionen aufzuwenden, unter anderem für Farbfilme. Nach dem österreichisch-en Gesetz über das Volksbegehren sind zunächst einmal 50.000 Schilling im Innenministerium zu hinterlegen, die verfallen, wenn weniger als 200.000 Personen unterschreiben. Weiters sind 30.000 Unterschriften zur Ein-leitung des Volksbegehrens 14) notwendig. Also ginge es zunächst um einen Spendenfonds; sollten mehr als 20.000 Schilling eingehen, wird der Überscliuß propagandistisch für die Belange des Volksbegehrens verwen-det. Senden Sie mir eine Karte, um sich für die Abhaltung des Volksbegehrens auszusprechen. Werben Sie in Ihrem Bekanntenkreis, denn wir brauchen 30.000 Unterschriften. Ferner benötigen wir Aktivisten, die bereit sind, für dieses Volksbegehren einzutreten. Teilen Sie mir mit, inwieweit Sie über Ihre Unterschrift hinaus bereit sind, aktiv zu werden. Der Volksbegehrensantrag müßte etwa so aussehen : Erwägungsgründe (Motivenbericht zum Gesetzentwurf): Die strategische Lage Österreichs, seine ökonomische Potenz und die staatsvertraglichen Beschränkungen seiner Rüstung machen eine ernsthafte Verteidigung des Landes unmöglich. Der Rüstungswett-lauf der Supermächte ist eine so ernste Gefährdung des Lebens auf unserem Planeten, daß kleine Staaten wenig- stens durch dramatische Gesten einen Druck auf die großen Staaten zu ernstlichen Abrüstungsbemühungen aus-üben sollten. Die Not von Millionen Menschen steht in himmelschreiendem Widerspruch zu den sogenannten Verteidigungsbudgets. Die qualitativ neue Vernichtungskapazität der modernen Waffen fordert eine entschei-dende Überprüfung der traditionellen Moralbegriffe hinsichtlich der ,Gerechtigkeit' auch von Verteidigungskrie- gen. Auch in Österreich gibt es sehr viele soziale und kulturelle Aufgaben zu lösen, die sinnlose Budgetposten ebenso unverantwortlich erscheinen lassen wie die unnötige Herausnahme von tausenden jungen Leuten aus dem Produktionsprozeß.

Inhalt des Gesetzesantrages:
1. Auflösung des Bundesheeres, bei gleichzeitiger Erklärung, daß Österreich nicht bereit ist, in einem möglichen Krieg militärisch zu kämpfen.
2. Schaffung einer Organisation von Freiwilligen, die bereit sind, im Falle einer Besetzung Österreichs durch ausländische Verbände gewaltlosen Widerstand zu leisten.
3. Überführung des Stammpersonals des österreichischen Bundesheeres zur Gendarmerie, Bildung einer speziellen Einheit mit spezieller Ausrüstung, die die sekundären Zwecke des Bundesheeres (verstärkter Grenz-schutz bei politischen Krisen in Nachbarländern, Katastrophenhilfe} zu erfüllen imstande ist.
4. Vor Durchführung der Punkte 1 bis 3 ist bei den Signatarmächten des österreichischen Staatsvertrages auf diplomatischen Wege anzufragen, ob sie in der Abschaffung des österreichischen Bundesheeres einen Bruch des Staatsvertrages oder der österreichisehen Neutralitätsverpflichtung sehen würden."

Voraussetzungen

Obwohl das Volksbegehren von der Arbeitsgemeinschaft für Politik und Wirtschaft, Offizieren des Bundes-heeres und Politikern verschiedenster Richtung als Initiative der "Neuen Linken" hingestellt wurde, lassen die im Auftrag des Bundesministeriums für Landesverteidigung veröffentlichten Zahlen einen anderen Hintergrund er-kennen. Selbst nach Einsetzen der Bundesheerreformen, 1973 waren nur neunundsiebzig Prozent der Österrei- cher für das Bundesheer. Das IFES-Institut stellte im Auftrag des Verteidigungsministeriums fest: "Eine echte Ablehnung des Bundesheeres trifft man in zwei völlig unterschiedlichen Gruppen besonders häufig: bei älteren Männern des Mittelstandes, die den letzten Krieg in der Deutschen Wehrmacht mitgemacht haben und zum Teil die nationale Eigenständigkeit Österreichs und auch den Sinn der österreichischen Landesverteidigung in Frage stellen; bei jüngeren Leuten, insbesondere in Wien, wobei die soziale Zuordnung eine geringere Rolle spielt -wiewohl etwas häufiger unter ungelernten Arbeitern." Überschrieben sind diese Feststellungen mit der irrefüh-renden Einschätzung: "Nur ideologisch motivierte Gruppen lehnen Bundesheer ab". Die Gruppe mit dem höchs-ten ausgewiesenen Prozentsatz an Gegnern des Bundesheeres sind die "Selbständigen und kleinen Angestellten" mit zweiunddreißig Prozent, dann folgt die Gruppe der "in deutscher Wehrmacht Gedienten" mit neunundzwan-zig Prozent. Beide Gruppen scheinen mir nicht "ideologisch motivierte Gruppen" zu sein. Außerdem halte ich für nicht belegt, daß gerade von den ehemaligen Soldaten der Deutschen Wehrmacht die "nationale Eigenstän-digkeit Österreichs in Frage gestellt" wird. Es werden diesbezüglich nur Vermutungen geäußert und keine Um-frageergebnisse präsentiert. Wilfried Daim ist ein Gegenbeispiel zur Behauptung der IFES-Studie: 1923 in Wien geboren, trat er 1939 der österreichischen Widerstandsbewegung l6) bei und wurde als Soldat der Deutschen Wehrmacht dreimal schwer verwundet. Seine politische Tätigkeit und seine Veröffentlichungen lassen nicht den Eindruck entstehen, daß er die "nationale Eigenständigkeit Österreichs in Frage stellt". Im Gegenteil: Daim hat immer wieder seinen Österreich-Patriotismus unter Beweis gestellt, und es ist ihm zu glauben, wenn er 1969 in ana/yse einer illusion - das österreichische bundesheer 17) schreibt: "Dieses Buch ist aus Liebe zum eigenen Land geschrieben, dem es seine wahre Lage zeigen will, um es vor der Illusion zu bewahren, der es - halbseitig -verfallen ist."

Der Initiator des Volksbegehrens steht eher in der Tradition des "bürgerlichen Pazifismus" einer Bertha von Suttner als in der Nähe des Antimilitarismus der "Neuen Linken". Der linke Antimilitarismus gehört jedoch sicherlich auch zu den Voraussetzungen des Volksbegehrens. Erst die Aktivisten der Ostermarschbewegung, die sich einige Jahre vorher auf ihrem Höhepunkt befunden hatte, und die Funktionäre des VSM (Verband Sozia-listischer Mittelschüler) und des VSStÖ (Verband Sozialistischer Studenten Österreichs) schufen für Wilfried Daims Pazifismus die nötige Struktur. Das Buch analyse einer illusion zeigt, daß Daim sein Vorhaben reiflich überlegt und vor allem christlich begründet hat. Nicht zufällig widmet er sein Buch "dem Andenken der heiligen Kriegsdienstverweigerer Martin von Tours und Franz Jägerstätter". Da Daim wegen seiner Haltung vielfach als Linkskatholik bezeichnet wurde, sprach man auch von einer Koalition der Neuen Linken mit den Linkskatholi-ken - eine Verbindung, die seit Jahren mit der Zeitschrift Neues Fornm existierte. Diese Zeitschrift schien daher auch das richtige Medium zu sein, um in wenigen Wochen Tausende von Aktivisten zu mobilisieren.

Verlauf

Organisatorisch konzentrierte sich anfangs alles auf das Büro in der Museumstraße in Wien. Günther Nenning stellte seine Einrichtung zur Verfügung.18) Innerhalb des Neuen Forum wurde ab Dezember 1969 die Kleine Soldatenzeitung eingerichtet: Bis September 1971 blieb diese Rubrik das "Zentralorgan" des Volksbegehrens, obwohl sich auch außerhalb Wiens in den verschiedensten kleinen Zeitschriften der Jungsozialisten und Katholi- schen Jugend "einiges tat". Fritz Keller berichtet,19) daß "alle vom VSM beeinflußten Schülerzeitungen sich in den Dienst dieser Kampagne stellten. In Salzburg (spindzeitung), in Linz (links um) und - illegal - in der Wiener Trost-Kaserne entstanden eigene Präsenzdiener-Zeitungen. In der Wiener Maria- Theresien-Kaserne konstitu-ierte sie ein Soldatenkomitee. Klebeetiketten ,Bundesheer ist ungeheuer. 1.: Scheiße! 2.: Teuer!' wurden vertrie-ben. Der VSM verlegte eine Broschüre, Wehrkraftzersetzung?' mit Beiträgen von Autoren verschiedenster Rich-tungen bis hin zu progressiven ÖVP-lern."

Im Kritischen Klub fand am 19. Dezember 1969 die "konstituierende Sitzung des vorbereitenden Ausschusses" statt. 20) Insgesamt wurden dreizehn Arbeitsausschüsse, unter anderem für den Text des Gesetzesentwurfes, zur Finanzierung und Organisation, zur Propaganda und für alle neun Bundesländer, eingerichtet. In einer Sonder-nummer des Neuen Forum Anfang 1970 wurde der überarbeitete Gesetzentwurf veröffentlicht. Nenning konnte in der Ausgabe von Mitte Februar 1970 feststellen: "Aus einem Forum-Leserbrief, auf den ich antwortete: ,Ich bin dafür, wer noch?', wurde eine Art Volksbewegung, mit Aktionsgruppen im ganzen Land". Als weitere Punk-te nannte er in dieser "BH-VB: Erfolge und Aussichten" überschriebenen ersten Einschätzung: 2. Aus dem Dis-kussionsvorschlag wurde ein konkreter Gesetzesentwurf. 3. Das Bundesheer wurde Wahlkampfthema Nr. 1. 4. Das Volksbegehren spaltet die Regierungspartei, welche den Verteidigungsminister stellt, hinsichtlich des Bun-desheeres in zwei Hälften. Generalmajor Emil Spannocchi beginnt sich ge- gen Minister Georg Prader zu profi-lieren. Die Arbeiter-Zeitung lobt ihn wegen dieser Kritik. 5. Eine Bewegung in der Außenpolitik, weil sich die KPÖ und damit auch Moskau für das Bundesheer-Volksbegehren interessiert - es habe sich damit "die These, daß Moskau den Status der unbewaffneten Neutralität schlechthin ablehne (...), als falsch erwiesen". 6. Zum erstenmal in der Geschichte der Zweiten Republik wird eine wesentliche gesellschaftliche Institution prinzipiell hinterfragt.

Daß Wilfried Daim und Günther Nenning nicht unrecht hatten, wenn sie immer wieder von heftigen und lebhaf-ten Diskussionen in den Medien sprachen, zeigt ein Blick in die Tages- und Wochenzeitungen: "Dieses Volksbe-gehren ist einer der übelsten Versuche der Demagogie", schimpfte Die Furche am 10. Jänner 1970 und fuhr fort: "Die bisherigen Befürworter demaskieren am ehesten die Initiatoren als Spekulanten auf Dummheit und Faul-heit. Oder sollten wirklich die Vernünftigen dieses Landes politischen Wursteln auf den Leim gehen ?" Die ka-tholische Wochenzeitung mußte jedoch zugeben, daß "die Versäumnisse - für welche vor allem die ÖVP die ent-scheidende Verantwortung trägt - befürchten lassen, daß es tatsächlich heute unzählige Österreicher gibt, die ein solches Volksbegehren unterschreiben".

Schon vor dem eigentlichen Auftakt des Volksbegehrens, am 9. November 1969 meinte die Zeitung Der Soldat eine linkskatholische Aggression zu erkennen: "Die Aggression kommt von der katholischen Linken. Was hier geboten wird, ist manchmal erschütternd. Gott, Glaube und Voreingenommenheit bilden ein seltsames, gewollt modernes Gemisch. Vielleicht soll Gott gegeben werden, was Gottes ist - das können wir nicht beurteilen." Die Kärntner Tageszeitung, nahm am 15. Jänner 1970 einen Forum-Redakteur in Sippenhaft, der selbst gar nicht aktiv im Volksbegehren war: "Die Entscheidung über den Staatspreis für journalistische Leistungen im Dienste der geistigen Landesverteidigung soll bereits gefallen sein. Preisträger sind der Forum- Redakteur und –Mitbe-sitzer Dr. Anton Pelinka. weiters Ministerialrat Doktor Kronhuber und Oberst dG Kuntner, die je einen halben Preis erhalten. An dieser Preisverleihung ist bemerkenswert, daß der 1. Preis an den Mitherausgeber eines Blat-tes geht, das ein Volksbegehren gegen das Bundesheer inszenieren möchte."

Es kam aber nicht nur zu den zitierten Polemiken, die im .Neuen Forum unter "Die Presse hilft mit" dokumen-tiert wurden. Immer wieder wurde deutlich Sympathie geäußert: "Initiator des Vorhabens ist der bekannte Jour-nalist Dr. Daim, und wie man hört, haben sich ihm als Mitarbeiter sehr namhafte Persönlichkeiten, Universitäts-professoren, Geistliche, Fabrikanten usw. angeschlossen, sodaß die zur Einleitung des Verfahrens nötigen 30.000 Unterschriften mit Sicherheit aufgebracht werden dürften. Was in der heutigen Weltsituation in einem Kleinstaat wie dem unseren ein Heer nützt, nämlich nichts, wurde in jüngster Vergangenheit so oft demonstiert, daß man es wirklich nicht übersehen konnte. Wohl am eindrucksvollsten zeigte sich die Ohnmacht des begrenzten militäri-schen Potentials in der Tschechoslowakei."Diese eindeutige Sympathiekundgebung erschien am 25. Jänner 1970 in der in Wörgl erscheinenden Tiroler Wochenzeitung Sonntagspost. Das Volksbegehren hatte also Anhänger bis hinein ins wehrbereite und konservative Westösterreich gefunden.

Schlussfolgerungen

Da Untersuchungen fehlen, müssen für diesen Sammelband folgende Analyseansätze genügen:

1. Äußerungen von ehemaligen Aktivisten des Volksbegehrens deuten darauf hin" daß nicht wirklich beabsich-tigt war, das Bundesheer aufzulösen. Im Wahlkampf wurde vielmehr auf das Instrument des Volksbegehrens zurückgegriffen, um an eine breitere Öffentlichkeit zu gelangen. Um diese Öffentlichkeit zu erreichen, mußte "scharf“ formuliert werden. Außerdem verlieh das verfassungsrechtlich verankerte Instrument Volksbegehren der Diskussion einen "offiziellen" Anstrich.

2. Bei ehemaligen Aktivisten herrscht nahezu Übereinkunft, daß das Volksbegehren für die beiden Initiatoren Wilfried Daim und Günther Nenning grundverschiedenes bedeutete. Daim wollte das Bundesheer tatsächlich aus tiefer pazifistischer Überzeugung abschaffen oder zumindest reformieren. Nenning ging es "um etwas anderes": teils um eigene Profilierung, teils um ein "Faustpfand" gegenüber der SPÖ.

3. Den Zeitungsberichten kann man entnehmen, daß das Volksbegehren "viel Staub aufwirbelte" (Ernst Chor-herr), jedoch nach den Wahlen und der Regierungsbildung durch Bruno Kreisky rasch an Bedeutung verlor. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Einsetzung der Bundesheer-Reformkommission wird (besonders von Mili-tärs) bestritten, scheint jedoch gegeben zu sein.

4. Die längerfristigen Folgen sind schwer abzuschätzen und nicht eindeutig. Indirekt wird sicherlich ein Zusam-menhang mit der Schaffung des Zivildienstes bestehen. Hier gehen die Meinungen auseinander. Erst eine Unter-suchung aller ehemaligen Aktivisten und weitere Experteninterviews werden eine Einschätzung zulassen. Mir reichen die Belege nicht aus, um einen direkten Zusammenhang zwischen Volksbegehren und Einführung des Zivildienstes zu behaupten.

5. Unter Offizieren gibt es die Meinung, daß das Volksbegehren Mißstände aufgezeigt hat. Diese Mißstände wurden (zumindest in Ansätzen) beseitigt, und unmittelbar nach dem Volksbegehren setzte eine Stärkung des Bundesheeres ein. Das Selbstbewußtsein der OffIziere und die Unterstützung durch die österreichische Bevöl-kerung sind gestiegen. Zugespitzt formuliert: Der eigentliche Nutznießer des Volksbegehrens ist das Bundes-heer. Dieser Meinung schließe ich mich weitgehend an.

6. Ernst Chorherr formuliert in seiner mehrfach zitierten Seminararbeit folgende These: "Das Mittel Volksbe-gehren steht in einem Mißverhältnis zum Thema desselben, nämlich der Auflösung des Bundesheeres. Ein vom demokratischen System vorgesehenes Mittel verfolgt das Ziel einer umfassenden Systemveränderung. Gerade die daraus entstandene Spannung aber dürfte der Bewegung ihre Initialkraft gegeben haben." Dieser Behaup- tung schließe ich mich weitgehend an.

7. Das Volksbegehren war ein Zusammenschluß von "Linkskatholiken" und "Neuen Linken". Diese Koalition bestand nicht nur zwischen den beiden Hauptakteuren Daim und Nen- ning, sondern auch auf der Ebene des engeren Kreises der Akti- visten. An der "Basis" fanden sich jedoch auch ehemalige Solda- ten der Deutschen Wehrmacht, eher nicht politisch motivierte Menschen verschiedenster sozialer Herkunft, Bauern, ÖVP-Poli- tiker und vieles mehr. Die Aktivistenliste vermittelt den Eindruck eines "bunten Haufens". Außer dieser "Buntheit" getraue ich mir noch keine genaueren Angaben zu machen.

8. Diese "Buntheit" läßt keine eindeutige Bewertung zu. Da auch der Begriff des Populismus "von Mao Tse Tung bis Franz Josef Strauß, von der mexikanischen Revolution bis zum Faschismus, von Fidel Castro zu Peron und Indira Gandhi, von den Verfechtern agrarischer Demokratie im nordamerikanischen Mittelwesten und Süden gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu Jimmy Carter und Ronald Reagan, aber auch zu Joseph McCarthy, dem Kommunistenjäger, und George Wallace in Alabama, dem ehemaligen Segregationisten" reicht und "Bauern- parteien der Zwischenkriegszeit in Ostmitteleuropa und auf dem Balkan" einschließt 21), bin ich bei der Zuord-nung vorsichtig. Das Verteidigen der "einfachen Leute" 22), der Soldaten gegen "das Bundesheer", deutet hinge-gen auf "populistisches Verhalten", Das Volksbegehren als Ganzes war jedoch nicht populistisch. Da für Außen-stehende und Gegner des Volksbegehrens "politischer Populismus" (Emil Spannocchi) erkennbar wurde und da sich weite Bereiche des Erscheinungsbildes mit einem alltagssprachlichen Gebrauch des Begriffes Populismus decken, wurde dieses Thema in den Sammelband "Populismus in Österreich" aufgenommen.



Anmerkungen .

1 Da ich in diesem kurzen Aufsatz nur den Anfang sehe und eine größere Untersuchung durchführen werde, bin ich für Hinweise (besonders von ehemaligen Aktivisten) sehr dankbar: Institut für Politikwissenschaft der Uni-versität Innsbruck, 6020 Innsbruck, Innrain 52, Telefon 05222-724.

2 Telefongespräch am 6. November 1986.

3 Ernst Chorherr: Das Volksbegehren zur Auflösung des Bundesheeres. Seminararbeit Wintersemester 1985/86, Universität Wien. Interview mit Günther Nenning im Anhang.

4 Die in den Heften Jänner/Mitte Februar/ Anfang April/ Anfang Mai 1970 veröffentlichte Aktivistenliste um-faßt insgesamt 1696 Einzelpersonen.

5 Mario Duic: Unbewältigte Landesverteidigung- System und Verantwortung -Mängel und Chancen. Graz 1977.

6 Emil Spannocchi: Verteidigung ohne Selbstzerstörung; in: Verteidigung ohne Schlacht. Einleitung von Carl Friedrich von Weizsäcker. München 1976.

7 Etwa Brief von Mario Duic vom 22. November 1986.

8 Karl Zemanek: Gutachten zu den von dem Volksbegehren zur Abschaffung des Bundesheeres (Bundesheer-volksbegehren) aufgeworfenen neutralitätsrechtlichen und neutralitätspolitischen Fragen; in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik, Heft 2/1970, S. 114ff. VgI. zu dieser Diskussion auch: Andreas Maislinger: Soziale Verteidigung und österreichische Völkerrechtslehre - Ansätze zu einer Untersuchung der politischen Bedeutung der österreichischen Völkerrechtslehre; in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, I Heft 3/1979, S. 359-371.

9 Werner Kunzenmann (Hrsg.): Soldatentaschenbuch. Einführung in den österreichischen Wehrdienst. Ein Be-helf für Ausbildung, Unterricht und Einsatz. Mit einem staatsbürgerkundlichen, militärischen und ethischen Teil. Innsbruck 1979(14), S. 96.

10 Felix Ermacora: 20 Jahre Österreichische Neutralität. Frankfurt am Main 1975, S. 165.

11 Dieses breite Spektrum geht aus der zitierten "Aktivistenliste' hervor.

12 Telefongespräch am 11. Dezember 1986.

13 Ernst Chorherr (Anm. 3); auch abgedruckt in: Gewaltfreier Widerstand, Heft 2 (1986).

14 Es ist bis heute ungeklärt, ob diese Zahl von Unterschriften erreicht wurde.

15 Die Österreicher und ihr Bundesheer. Ergebnisse einer Umfrage des Institutes für empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag des Bundesministeriums für Landesverteidigung. Wien 1973.

16 Klappentext des in Anmerkung 17 zitierten Buches. Belege finden sich unter anderem in: Josef Windisch: ÖCV 1938-1945. Widerstand und Verfolgung in der NS-Zeit. Vorort K.Ö.St.V. Glückauf Leoben 1985.

17 Wilfried Daim: analyse einer illusion - das österreichische bundes- heer. bellnhausen über gladenbach 1969, S. 8.

18 Interessant ist, daß sich ähnliches vor den Nationalratswahlen am 23. November 1986 abgespielt hat: Wieder stellte Günther Nenning sich und seine Einrichtung zur Verfügung - und scheiterte.

19 Fritz Keller: Wien, Mai 68- Eine heiße Viertelstunde. Wien 1983.

20 Ernst Chorherr (Anm. 3).

21 Hans-Jürgen Puhle: Was ist Populismus? in: Helmut Dubiel (Hrsg.): Populismus und Aufklärung. Frankfurt am Main 1986, S. 12.

22 Hans-Jürgen Puhle (Anm. 21); S. 13